Wie schon im VA erwähnt, hat mich der Titel der Vorlage „Integrationsmaßnahmen in städtischen Kindertageseinrichtun¬gen“ zunächst verwirrt. Bei der Teilhabe von Menschen mit Behinderung spricht man seit vielen Jahren von Inklusion. Vielleicht muss man den Unterschied nochmals klar herausstellen.
Inklusion und Integration sind keine Synonyme. Bei Integration geht es immer noch darum, Unterschiede wahrzunehmen und Getrenntes wiedereinzugliedern. Während der Begriff „Integration“ nahe legt, dass das behinderte Kind außerhalb eines bestehenden Systems steht und sich diesem System anpassen muss, um teilhaben zu können, ohne das System zu verändern, geht Inklusion davon aus, dass jeder Mensch in seinem Anderssein Teil der Gesellschaft ist, und Strukturen so gestaltet werden müssen, dass alle Menschen gleich¬berechtigt daran teilhaben können.
Nach der UN-Behindertenrechtskonvention, die von der BRD vor 16 Jahren ratifiziert wurde, Ist Inklusion von Kindern und allen Menschen mit Behinderung ein Menschen¬recht. Ich möchte also vorschlagen, in Zukunft das Wort Inklusion zu verwenden.
Wie in der Vorlage ausgeführt wurden mit dem Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) im Achten Sozialgesetzbuch (SGB VIII) gesetzliche Änderungen vorgenommen. Der Absatz 4 des § 22a SGB VIII ist wie folgt gefasst: „Kinder mit Behinderungen und Kinder ohne Behinderungen sollen gemeinsam gefördert werden. Die besonderen Bedürfnisse von Kindern mit Behinderungen und von Kindern, die von Behinderung be¬droht sind, sind zu berücksichtigen.“ Damit entfällt der einschränkende Zusatz „sofern der Hilfebedarf dies zulässt“, der bedeutete, dass Kinder mit Behinderung nicht in jedem Falle in einer Kindertageseinrichtung aufgenommen wurden.
Im Schaubild auf Seite 2 ist der komplexe Ablauf des Diagnoseverfahren zur Gewährung einer Eingliederungshilfe dargestellt – ein absolutes Bürokratiemonster, das sich an Defiziten orientiert und fast ein Jahr dauern kann. Erst wenn das Verfahren abgeschlossen ist, kann eine Eingliederungshilfe gesucht werden, und erst wenn eine entsprechende Kraft gefunden ist, kann ein Kind betreut werden - aber wenn die Diagnose eine dauerhafte Begleitung erfordert, soll die wöchentliche Betreuung auf 9 Stunden beschränkt werden. Ich will nochmals darauf hinweisen, dass Inklusion ein Menschenrecht ist, das nicht nur für 9 Stunden pro Woche gewährt werden kann. Es ist Aufgabe von Landkreis und Kommune, einem behinderten Kind die erforderliche Unter¬stützung zu sichern.
Ein ganzer Absatz der Vorlage widmet sich den Herausforderungen der Integrativen (inklusiven) Bildung, auf die Chancen und Potentiale wird leider nicht eingegangen. Auf zwei Punkte möchte ich näher eingehen. Zum einen ist Downsyndrom (DS) keine Krank¬heit, sondern eine angeborene genetische Veränderung. Für die Betreuung von DS-Kindern würde spezielles Fachwissen benötigt. Ich will hier nicht auf ein paar persönliche Erfahrungen verzichten, da diese in Bezug auf andere Themen wie Sportplätze, Veranstaltungen, etc. auch akzeptiert werden. Mein inzwischen erwachsener Sohn mit DS hat sowohl im Ausland als auch in Nellingen Regelkindergärten besucht, die ihn ohne Wenn und Aber und ohne ausgebildete Fachkraft akzeptiert haben, und ist im Laufe seines Lebens von zahlreichen Personen begleitet und unterstützt worden. Davon hatte keine eine Spezialausbildung in Down-Syndrom, aber alle waren engagiert, vorurteilsfrei und hatten das Herz auf dem rechten Fleck. Ich will damit nicht sagen, dass zusätzliche und geschulte Betreuungskräfte überflüssig sind. Aber statt die Behinderung in den Mittelpunkt zu stellen, ist es viel wichtiger, das Kind selbst und seine Stärken und Fähigkeiten zu betrachten. Kinder mit DS sind so unterschiedlich wie Kinder mit 46 Chromosomen, dasselbe gilt auch für Kinder mit Autismus oder anderen Einschränkungen.
Im Moment werden in den Kitas von Ostfildern 8 Kinder mit Unterstützungsbedarf betreut, das ist eine sehr überschaubare Anzahl, Es wäre interessant zu wissen bei wie vielen Kindern eine Aufnahme abgelehnt wurde. Mit Inklusionskräften wurden bis 2022 Dienstleistungsverträge abgeschlossen, das ist zum Glück nicht mehr möglich. Die Stellen müssen im Stellenplan verankert werden. Die bisher befristeten Verträge sollen nun verstetigt werden – eine Entscheidung, die mehr als überfällig ist. Zum einen gibt es den Inklusionskräften berufliche Sicherheit und die Fachkräfte bleiben der Stadt erhalten. Nicht bei jeder neuen Aufnahme eines Kindes mit Unterstützungsbedarf muss man sich erneut auf die Suche machen. Angedacht ist die Verstetigung von 2,05 Stellen, im nächsten Jahr soll eine Aufstockung um Stellen für vier weitere „Maßnahmen“ erfolgen. Allerdings wird ein Bedarf von 20 statt der damit abgedeckten 12 Maßnahmen vorausgesehen, Die Frage ist noch offen, was mit den restlichen acht Kindern geschieht, für die keine Begleitung vorgesehen ist. Pro Maßnahme entstehen Ostfildern Kosten von ca. 4.000 € pro Jahr. Können wir die 32.000 € pro Jahr, um die vorhergesehenen Bedarfe abzudecken, wirklich nicht aufbringen?
Warum also nicht mehr Stellen? Inklusion ist zu teuer heißt es allenthalben. Das ist eine Milchmädchenrechnung. Kann ein Kind nicht oder nur stundenweise in der Kita betreut werden, ist es zumindest einem der Elternteile nicht möglich, auch nur eine Halbtagstätigkeit auszuüben. Können wir uns das in Zeiten des Personalmangels leisten? Brauchen wir die Einkommenssteuer von gut ausgebildeten Menschen nicht? Wie soll der oder die Betroffene für seine Rente vorsorgen? Sind Eltern behinderter Kinder Menschen zweiter Klasse, denen man das Recht auf Arbeit vorenthält? Der Landkreis Esslingen ist in Sachen Inklusion eines der landesweiten Schlusslichter. Statt mehr in Inklusion zu investieren, wird nun geplant, ein weiteres SBBZ zu bauen. Ist das wirklich die preisgünstigere Lösung? Wobei ich die finanzielle Seite nicht in den Vordergrund stellen will, sondern nochmals betonen möchte, dass Menschenrechte nicht unter einem Finanzierungsvorbehalt stehen können.
Die Entfristung der 2,05 Stellen und die Aufstockung um weitere Stellenkontingente für Eingliederungshilfe sind nur ein erster Schritt, um den uneingeschränkten Rechtsanspruch auf die Betreuung von Kindern mit Behinderung in einer Kita zu erfüllen. Zeitnah müssen alle Kitas sachlich und personell so ausgestattet werden, dass jedes Kind aufgenommen werden kann und die bestmögliche Unterstützung erhält. Ein Blick in die Nachbarkreise wie z.B. Stuttgart oder Göppingen, die bereits erfolgreich an einer „Kita für alle“ arbeiten, könnte sich lohnen.
Wir stimmen der Vorlage zu, erwarten aber, dass die Stadt den Pool an Inklusionskräften weiter ausbaut und mittelfristig zunächst eine Kita in pro Stadtteil, längerfristig aber alle Kindertagesstätten mit fest angestellten Inklusionskräften zu „Kitas für alle“ ausbaut.
Dr. Gabriele Klumpp
Bündnis 90/Die Grünen